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Was unterscheidet die Digital-Illustration von der manuellen Illustration?

Digitale Illustration 1

Was unterscheidet die Digital-Illustration von der manuellen Illustration?

Das „iPad Pro“ mit „Apple Pencil“ als Eingabestift und „Procreate“ als innovativer Software hat ab 2015 dem digitalen Illustrieren einen neuen Schub versetzt – sowohl in der Design-Szene als auch bei interessierten Laien. In einer dreiteiligen Serie wollen wir das Thema „Digitale Illustration“ beleuchten. Nachfolgend behandeln wir den Unterschied zwischen Digital-Illustration und illustrieren per Hand. In zwei weiteren Folgen geht es darum, mit welcher Software und Hardware Illustratoren arbeiten.

Nie war es attraktiver, digital an Tablet, Computer oder sogar Smartphone zu illustrieren.

  • Es gibt einfache Software, die intuitiv und schnell zu lernen ist, und
  • es gibt komplexe Software mit einem großen Werkzeug-Umfang.

Professionell arbeitende Illustratoren sind oft in beiden Welten zuhause. Sie schätzen die unkomplizierte Arbeit am Tablet-PC wie dem iPad und zugleich den Funktionsumfang am großen Wacom-Tablet. Aber zunächst: Wo kommen Illustrationen zum Einsatz und welche Anforderungen stellt das an die digitalen Werkzeuge?

Was ist eine Illustration?

Medial leben wir in einer bildorientierten Welt, weil visuelle Zeichen und Bilder schnell funktionieren. Bilder können Fotos, Zeichnungen und Malereien sein. Von „Illustrationen“ spricht man dann, wenn ein visuelles Element einem Text zugeordnet ist, wie bei

  • der Buchillustration,
  • der Karikatur auf einem Zeitschriftentitel oder
  • der Infografik in einem Artikel.

Wo kommen Illustrationen zum Einsatz?

Auch wenn das Foto die Illustration in manchen Bereichen abgelöst hat, findet man die unverwechselbare Handschrift von Illustrationen überall – oft auch unter der Oberfläche der Medienwelt. Sie kommen zum Einsatz, wenn etwas visualisiert werden soll, verstärkt in folgenden Bereichen:

  • Werbung: Scribble und Marker-Layout als Grundlage für Fotomotive
  • Modebranche: Kleidungsentwürfe
  • Film/Trickfilm: Storyboards, die skizzenhaft den Ablauf des Drehbuchs visualisieren
  • Architektur/Messebau: Visualisierung von Gebäuden oder Messeständen
  • Wissenschaft: Infografiken für die Bebilderung von Fachartikeln oder Lehrbüchern
  • Verpackungs-Design: Illustration oft in Kombination mit Typografie
  • Verlage: Bebilderung von Zeitschriften, Zeitungen und Büchern wie Lexika, Bilderbüchern oder Romanen
  • Narrative Medien: Cartoons, (Web-)Comics
  • Mediendesign: Manche Firmen-Logos z.B. sind illustrativ gestaltet
  • Maschinenbau/Elektrotechnik: Technische Illustrationen bei CAD (Computer Aided Design = PC-gestützte Konstruktion) oder CAM (Computer Aided Manufacturing = computerunterstützte Herstellung), wobei die Illustration ein Mittel von Technikern für die Fertigung ist aber „nebenbei“ der Visualisierung etwa in Drucksachen dient.

Bewegtbild-Illustrationen

Über die statische 2D-Illustration hinaus findet man Illustrationen zunehmend im Animationsbereich, der meist 3D-Software einsetzt. Der Ausgangspunkt dieser Animationen sind illustrative Entwürfe. In Amerika ist die Grenze zwischen der Arbeit von Comiczeichnern und deren Arbeit für Video-Games oder die Filmbranche fließend. Viele Comiczeichner entwerfen Charaktere für Spiele oder Storyboards und Szenerien beim Film.

So nimmt es nicht Wunder, dass einige Illustrations-Programme für Tablet und PC über zusätzliche Animationsfähigkeiten verfügen. Motion-Grafik und -Illustration ist ein Zukunfts-Feld für Illustratoren – auch wenn vieles, das nach dem illustrativen Entwurf kommt, schwerpunktmäßig die eher technischen Kompetenzen bei der Umsetzung braucht.

Was sind die Stärken der Digital-Illustration?

Die zwei wichtigsten Aspekte des digitalen Illustrierens

Warum arbeiten viele Illustratoren nicht mehr mit Stift und Papier oder mit Pinsel und Aquarellpapier bzw. Leinwand? Die Antwort fällt vielfältig aus, hat aber einen Hauptgrund. Digitales Arbeiten vereinfacht

  • uneingeschränkte Korrekturen des Entwurfs
  • vor allem durch die Arbeit mit Ebenen.

Die Korrektur oder Überarbeitung einer Illustration ist wenig kreativ und herausfordernd. Die Digitaltechnik hat diesen Umstand aber fast auf den Kopf gestellt. Illustratoren sind begeistert von den Möglichkeiten, alles korrigieren und optimieren zu können und wenden sich detailverliebt den neuen Möglichkeiten zu. Wartezeiten bezüglich eines in Öl oder Tempera gemalten Bildes, das erst trocknen muss, gehören der Vergangenheit an. Ermöglicht wird dies durch das Arbeiten mit Ebenen – das heißt, die unterschiedlichen Elemente des Bildes befinden sich auf je einer Ebene, die separat bearbeitet werden kann. Jedes Element kann einzeln weiter ergänzt, maskiert, gefiltert oder farbkorrigiert werden, ohne dass es andere Ebenen beeinflussen muss. Im Ergebnis hat der Illustrator eine viel größere Kontrolle über jedes Detail – kann sich darin aber auch leicht verlieren.

Was zeichnet das digitale Arbeiten aus?

Neben dem vereinfachten und beschleunigten Workflow gibt es weitere Aspekte des digitalen Illustrierens, die eine wichtige Rolle spielen:

  1. Die Faszination beim Arbeiten mit neuen Werkzeugen,
  2. mehr Möglichkeiten,
  3. Illustrieren als herausfordernder Lernprozess,
  4. eine gewisse Alternativlosigkeit im Umgang mit Digital-Tools, weil die Digitaltechnik allgegenwärtig ist und
  5. der Einsatz künstlicher Intelligenz in Programmen.  

Aspekt 1 „Faszination des Illustrierens“: Jeder, der lernt, ein Werkzeug gezielt einzusetzen und davon profitiert, weiß diese Technik zu schätzen. Aus der Begeisterung über die Möglichkeiten kann Faszination werden. So erzeugt die Teilhabe an der Evolution von Grafik-Software und Grafik-Hardware eine Affinität zur Technik. Die Neugier wird angeregt und das Arbeiten bleibt spannend.

Aspekt 2 „Möglichkeiten des Illustrierens“: Die Faszination ist vor allem von den Möglichkeiten der Digitaltechnik abhängig. Optionen wie

  • Filter,
  • Masken,
  • Smartobjekte, bei denen trotz Bearbeitung die Ursprungsdaten erhalten bleiben,
  • downloadbare sowie selbst gestaltete Pinsel oder
  • Vektor-Pinsel

bringen Neues. Damit wird manches erreicht, das früher undenkbar war – aber nicht nur illustrativ: Wer komplett digital zeichnet, hat beispielsweise alle reprografischen Zwischenschritte eliminiert, die früher nötig waren. Nun kann aus dem Datenbestand heraus verlustfrei direkt auf eine Druckplatte belichtet werden.

Aspekt 3 „Der Illustrations-Lernprozess“: Wer lange manuell illustriert wird die Evolution digitaler Bildbearbeitung anders wahrnehmen, als jemand, der mit digitalen Gadgets aufgewachsen ist und gar nichts Anderes kennt. Die Arbeit mit immer

  • schnellerer Hardware,
  • neuen Eingabe-Gadgets,
  • besseren Bildschirmen und
  • mit einer Software, die Striche und Farbaufträge natürlicher simuliert,

funktioniert bereits gut. Aber sie bleibt nicht stehen. Das nächste Software-Update macht aus dem Illustrator einen ewig Lernenden.

Aspekt 4 „Allgegenwärtige Technik“: Digitale Gadgets sind Lebensbegleiter geworden. Das Smartphone, das Tablet, der Laptop und der stationäre Computer sind in den meisten Haushalten vorhanden. Mehr noch, mobile Geräte sind Accessoires der Persönlichkeit geworden, man führt sie wie selbstverständlich mit sich. Deshalb liegt auch das digitale Zeichnen und Illustrieren näher als früher.

Aspekt 5 „Künstliche Intelligenz“: Das vorher Geschriebene erhält eine zusätzliche Dimension durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Durch visuell arbeitende KIs wird der Gestaltungsprozess revolutioniert. Anstatt selbst (vollständig) zu illustrieren liegt die Kernkompetenz des KI-nutzenden Illustrators zukünftig darin, die KI so zu briefen, dass das gewünschte Ergebnis erreicht wird.

Perspektivwechsel: Wer setzt Digital-Illustration wie ein?

Man kann das Illustrieren und seine Anforderungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, die sich danach richten, wer mit welcher Absicht illustriert:

  • Ein Profi für den Lebensunterhalt,
  • ein Anfänger, um zu lernen,
  • ein interessierter Laie hobbymässig oder
  • ein Künstler wegen den innovativen Möglichkeiten.

Gerade, wer schon lange illustriert, muss sich angesichts der Anforderungen der digitalen Welt neu verorten. Wie geht er damit um, dass kein physisch vorhandenes Original mehr existiert? Wie damit, dass im Dateigewirr vieles flüchtiger und unter Umständen wenig greifbar geworden ist?

Anfänger, Profis und ihre unterschiedlichen Bedürfnisse

Die Digitaltechnik hat die Schwelle für beginnende Illustratoren gesenkt. Der Anfänger oder interessierte Laie kann selbst mit dem Finger auf dem Smartphone zeichnen und das Ergebnis sofort posten. Oder er kann sein Smartphone, Tablet oder den Laptop mit Touchscreen zum Zeichnen per Eingabestift nutzen. Dies erleichtert den Zugang zu Werkzeugen und Arbeitsmethoden. Anstatt ein Smiley zu schicken, ist nun eine schnelle Skizze oder eine kleine Zeichnung einfacher als früher möglich.

Aber selbst professionelle Illustratoren nutzen kleine Tablet-PCs, weil schnellere Prozessoren, bessere Bildschirme und intelligentere Software den Zeichen-Prozess vereinfachen. Nur unterscheidet sich die Welt der großen Grafik-Tablets und der großen Softwarepakete von der der Anfänger, auch wenn es eine Schnittmenge gibt. Wer seinen Lebensunterhalt damit verdient, digital zu illustrieren, hat einen verinnerlichten Workflow. Er nutzt zum Beispiel die Standort-Unabhängigkeit eines 13-Zoll-Tablets, fertigt darauf Skizzen und Vorvisualisierungen an und verfeinert sie später mit dem großen Tablet am großen Bildschirm mit jener Software, die komfortablere Bearbeitungsmöglichkeiten bietet.

Welche Kritik gibt es an der Digital-Illustration?

Der neue Vorteil: Ständige Veränderbarkeit

Ein Unterschied zwischen manuellem und digitalem Arbeiten liegt im Unterschied zwischen Vorläufigkeit und Endgültigkeit des Entwurfes – bzw. in der Unverbindlichkeit der Arbeitsschritte im Entwurfsprozess. Sieht man einem Digital-Zeichner bei der Arbeit zu, fällt auf, dass er mehr Zeit in die Überarbeitung von Details investiert, als er das bei manueller Tätigkeit mit realen Farben tun könnte.

In vergangenen Zeiten war während des Gestaltens oder Illustrierens vieles deshalb von einer graduellen Endgültigkeit geprägt, weil die einzelnen manuellen Arbeitsschritte zu aufwendig für schnelle Korrekturen waren. Man bedenke, dass in den 1950er- oder 1960er-Jahren Illustrationen für ganzseitige Werbe-Anzeigenmotive realistisch fast wie ein Gemälde gemalt wurden. Wenn ein Motiv nicht gefiel, musste es deshalb ganz neu angefertigt werden, was zeitraubend war. Auch die Möglichkeiten partieller manueller Korrektur oder Retusche waren im Verhältnis zu heute beschwerlicher.

Im digitalen Zeitalter steht alles zur Disposition. Entwürfe können noch bis kurz vor Drucklegung geändert, Bild- oder Farbkorrekturen schnell und umfassend durchgeführt werden. Überhaupt ist es einfacher geworden, Alternativentwürfe anzufertigen. Der Entwurfsprozess selbst ist geprägt von einer fortwährenden Vorläufigkeit.

Überhaupt ist es einfacher geworden, Alternativentwürfe anzufertigen. Der Entwurfsprozess selbst ist geprägt von einer fortwährenden Vorläufigkeit.

Ralf wasselowski

Illustrative Vorläufigkeit und Endgültigkeit

Der Designer vergangener Tage musste sich frühzeitig konzentrieren und festlegen. Das heißt, er musste vor Arbeitsbeginn klarer herausarbeiten, was er gestalterisch wollte. Heute kann man sich in den Funktionsreichtum der Software stürzen und dann gucken, was dabei herauskommt.

Resultate der permanenten Überarbeitungs-Optionen können sein:

  • perfekte und visuell aufregende Illustrationen, die auch experimentell neue Stile erkunden oder
  • Illustrationen, die gleichförmig erscheinen oder sich darin erschöpfen, gewohnte Stile zu adaptieren.

Die Digital-Illustration als Simulation

Digital zu illustrieren ist eine Simulation real vorhandener Illustrations-Techniken. So simuliert das Aquarellpapier am Bildschirm die saugende Eigenschaft des echten Papiers. Allerdings gehen Digital-Werkzeuge zunehmend über die Möglichkeiten manueller Werkzeuge hinaus, modifizieren und erweitern sie oder schaffen Striche, die es vorher nicht gegeben hat. Zittert man beim manuellen Zeichnen auf Papier etwa, wird der Strich unpräzise – in der digitalen Welt ist ein Pinsel-Stabilisator zuschaltbar.

Das Wechselspiel zwischen manuellem und digitalem Arbeiten

Konzentration durch Verwaltung des Mangels

Dadurch, dass mit manuellen Werkzeugen weniger möglich ist als mit digitalen, muss man im manuellen Workflow aus den begrenzten Möglichkeiten, die man hat, das Optimum herausholen. Dies begünstigt ein konzentriertes Arbeiten.

Entscheidungsfreude und Gestaltungswille

Konzentration und Fokussierung setzen Entscheidungsfreude voraus. Denn beim Weglassen, beim Nicht-Tun von etwas, lernt man, sich für etwas zu entscheiden. Zu illustrieren bedeutet auch, Position zu beziehen, damit eine Illustration nicht beliebig ist, sondern einmalig wird. Wer beim digitalen Illustrieren alles möglich machen kann, für den ist das schwerer. Wer es schafft, profitiert von der Digitaltechnik aber doppelt.

Was unterscheidet digitales von manuellem Arbeiten?

Die Vorteile des digitalen Illustrierens sind Flexibilität und Schnelligkeit, wenn man die Werkzeuge beherrscht. Aber man kann ein Programm unterschiedlich stark durchdringen und in seinen Möglichkeiten verstehen. So nutzt manch ein Illustrator eher Funktionen, die sich intuitiv erschließen. Andere Nutzer erkunden die innere Logik des Programms mit allen Einstellmöglichkeiten systematischer. Sie investieren am Anfang mehr Zeit, um die Funktionen zu verstehen und vereinfachen damit später den Arbeitsprozess. Ist der beträchtliche Lern-Aufwand gegenüber dem manuellen Illustrieren gerechtfertigt? Darauf gibt es verschiedene Antworten:

  • Antwort 1: Ein Nachdenken darüber lohnt sich nicht, weil Auftraggeber schnelle Korrekturen und Dateien wollen, die sie in ihren Produktionsablauf einbinden können. Manuelles Arbeiten würde den Ablauf unnötig verkomplizieren.
  • Antwort 2: Möglichst lange beim gewohnten Workflow bleiben, um sich nicht immer wieder neues Know-how aneignen zu müssen, was Zeit kosten würde.
  • Antwort 3: Kommerzielle Illustration muss mit der Zeit gehen. Manuell und mit künstlerischer Absicht kann man für sich privat zeichnen.
  • Antwort 4: Es ist in einer Welt, die sich zunehmend virtualisiert, wichtig, die Bodenhaftung als Kontakt zur realen Welt nicht zu verlieren. Deshalb sollte man in den Illustrationsprozess so viele manuelle Arbeitsschritte einbauen, wie möglich. Das könnte zumindest für kleinere und überschaubare Projekte heißen: Illustrieren auf Papier, weiterbearbeiten und verfeinern digital.

Fazit: Das Ende der eigenen Originalität?

Digitales Illustrieren verkörpert zwei grundlegende Aspekte:

  • Die Begeisterung über die Digital-Werkzeuge, deren Andersartigkeit man als spannend empfinden kann – auch als eine Ausweitung der eigenen Möglichkeiten, was etwas entstehen lässt, das vorher kaum machbar schien.
  • Andererseits: Wenn rein technisch alles möglich ist, vergisst man unter Umständen die eigene Individualität beim Illustrieren. Effekte ersetzen dann echte Kreativität, ohne dass das dem Illustrator bewusst sein muss. Vielleicht ist dann der gezeichnete Comic perfekt ausgeführt, aber die Bilder sind ideenlos. So ähnlich wie bei vielen Hollywood-Blockbustern, die technisch atemberaubende CGI-Effekte bieten aber filmisch Klischees abspulen, also nur technisch etwas wirklich Neues bieten.

Wo die Technik den Anwender durch ihre Möglichkeiten begeistert, sollte sie ihn auch in seiner Kreativität anregen.

Beim nächsten Mal: Illustrations-Software: Natürliches Arbeiten mit digitalen Mal- und Zeichenwerkzeugen

©Ralf Wasselowski
Für den fachlichen Input konnten wir wieder Ralf Wasselowski gewinnen. Er betreibt die Agentur Conceptbüro in Essen. ©Ralf Wasselowski